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Warum man sich die Energiewende nicht (er)sparen kann Reihe: Inside Energiewende - der (un)-aufgeregte Realtalk.

Der Bundeshaushalt für 2024 steht. Ist damit der Umbau des Energiesystems gerettet? Mitnichten, denn die Finanzierungspläne lassen an vielen Stellen Weitsicht vermissen. Unsere Branchenexperten Dr. Steffen Bechtel und Constantin Lange zeigen die verbleibenden Baustellen auf.

Warum man sich die Energiewende nicht (er)sparen kann

Deutschland hat nach langen Verhandlungen endlich einen Haushalt für das Jahr 2024. Es vergeht kaum ein Tag, an dem außerdem nicht öffentlichkeitswirksam und freudestrahlend verkündet wird, dass Mittel für bestimmte Vorhaben gesichert werden konnten – zuletzt betraf dies beispielsweise die Förderung von Reallaboren. So viele „gute“ Nachrichten im Kleinen lassen einen glatt vergessen, einen Blick auf das größere Ganze der Energiewende zu werfen. Der ist fatal: Im „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF), der bereits vorher ein geringes Volumen für die Energiewende aufgewiesen hat, wurden wichtige Mittel gekürzt.

Finanzierung der Energiewende

Der Finanzierungsbedarf für die Energiewende teilt sich im Wesentlichen in drei Bereiche auf:

1.      Die Förderung von erneuerbaren Technologien, die sich unter derzeitigen Marktbedingungen nicht ausreichend gegen fossile Technologien durchsetzen können,

2.      Investitionen in die Energieinfrastruktur sowie

3.      die Forschungsförderung zur Erprobung und Weiterentwicklung neuer Technologien.

Vom Ziel aus gedacht ist das Energiesystem der Zukunft deutlich kostengünstiger, effizienter und resilienter. Bis wir dorthin gelangen, gilt es zahlreiche Ineffizienzen durch noch nicht vorhandene Infrastruktur, in die investiert werden muss, mangelnde Wirtschaftlichkeit neuer Technologien und veraltete Regulatorik zu überwinden.

Genau in diesem Zustand droht die Energiewende aufgrund der Haushaltspolitik deutlich länger als notwendig zu verharren. Nicht getätigte Investitionen werden sich an anderer Stelle bemerkbar machen, nämlich bei den Energiepreisen aller Verbraucher*innen. Im Stromnetz ist dies offensichtlich, da seit Jahren die Kosten für Redispatch (1,6 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2023) und Einspeisemanagement über die Netzentgelte umgelegt werden.

Notwendige Investitionen in die Wärmewende

Ein anderes anschauliches Beispiel ist die Wärmewende. Hier wurde ein gesellschaftlicher Streitpunkt temporär entschärft, indem die Fernwärme als kommende Lösung für zahlreiche Haushalte propagiert wurde. Der Bau neuer Fernwärmeleitungen oder größerer erneuerbarer Wärmeerzeugungsanlagen lässt sich allerdings selten ohne staatliche Förderung bewerkstelligen. Der bestehende politische Fördertopf, die „Bundesförderung effiziente Wärmenetze“, wird mit 3 Mrd. Euro bis 2026 nicht annähernd ausreichen und hat in der aktuellen politischen Prioritätensetzung wenig Aussicht auf eine signifikante Aufstockung. Wer trägt mittelfristig steigende Erdgaskosten durch eine CO2- Bepreisung oder geopolitische Auswirkungen, wenn der „Ausweg“ Fernwärme nicht oder deutlich später gebaut wird?

Unverzichtbare Infrastrukturmaßnahmen

Fehlende Infrastruktur existiert auch im Stromsektor bzw. beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis 2030 soll sich die installierte Leistung für Windenergieanlagen an Land auf 115 GW verdoppeln und für Windenergieanlagen auf See mit 30 GW sogar knapp vervierfachen. Branchenakteure weisen jedoch daraufhin, dass es für den geplanten Zubau u.a. eines massiven Ausbaus von Hafen- und Errichtungsinfrastruktur bedarf. Großkomponenten für Windenergieanlagen wie Türme, Rotorblätter oder Fundamente für Offshore-Projekte werden fast ausschließlich auf dem Schiffsweg importiert. Im Bereich der notwendigen Hafeninfrastruktur beziffert die Stiftung Offshore-Windenergie den Bedarf in Deutschland bis 2027 auf mindestens 50 Hektar, für den Ausbau-Peak in den Jahren 2029/30 sogar auf 60 bis 120 Hektar. Bei diesen Berechnungen sind Lagerkapazitäten für Onshore-Projekte nicht enthalten. Eine mögliche Option, um die Kosten nicht mithilfe staatlicher Förderung zu finanzieren, könnte in der anteiligen Verwendung der Ausschreibungserlöse aus den Offshore-Wind-Ausschreibungen bestehen. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Einnahmen aus den Offshore-Ausschreibungen auf 12,7 Milliarden Euro.

Entstehende Wasserstoffwirtschaft

Ohne öffentliche Finanzierung steht auch die Wasserstoffwirtschaft vor großen Problemen. Der Bau von Leitungsinfrastruktur ist eine notwendige Investition, die nicht aus dem Markt heraus entstehen wird. Dementsprechend tritt der Bund beim Aufbau eines Kernnetzes in Vorleistung und federt Risiken von zu geringer Infrastrukturauslastung ab, auch damit die Netzentgelte bei „First Movern“ nicht untragbar hoch sind. Darüber hinaus sind Förderprogramme notwendig, um Anwendungen wie beispielsweise Wasserstoff-LKW für Langstrecken in die Breite zu bekommen. Die könnten vermehrt benötigt werden, wenn die Deutsche Bahn wie angekündigt ihre Neubauprojekte im Güterverkehr stoppt. Potenzielle Anwender zögern mangels Wirtschaftlichkeit mit einer Investition und verweisen gerne auf Skalierungseffekte, die eine entsprechende Kostendegression nach sich zögen. Doch wie kämen diese Skalierungseffekte ohne Förderung zustande? Vor selbigen Problemen stünde im Übrigen auch die komplette Technologie des Carbon Capture für die Restemissionen.

Haushaltspolitik mit Weitsicht notwendig

Viele weitere Probleme könnten hier angesprochen werden, z.B.  der Zustand der Autobahnbrücken, der die Anlieferung von Windturbinen erschwert und vieles mehr. Wer möchte, dass die Energiewende gelingt, muss die gegenwärtige Haushaltspolitik infrage stellen. Die Akteure können sehr kleinteilig über Prioritäten innerhalb des Haushalts streiten, aber letztlich bleibt die Gewissheit, dass Deutschland sich keine erfolgreiche Transformation „zusammensparen“ kann. Die öffentlichen Investitionen und Garantien sind außerdem die Voraussetzung dafür, dass private Investoren in viel größerem Umfang in die Energiewende investieren. Über das Verharren im jetzigen Zustand werden lediglich Verbraucher*innen belastet und Verteilungskämpfe hervorgerufen, die den gesellschaftlichen Konsens Pro-Energiewende stark strapazieren werden. Kaum gesagt, steht die Diskussion zur Wiedereinführung der EEG-Umlage vor der Tür.

Über Steffen Bechtel

Profilbild zu: Steffen Bechtel

Im Cluster EEHH bin ich seit Februar 2022 für die Themenbereiche Sektorenkopplung und erneuerbare Wärme zuständig. Ich bin Ingenieur mit dem Schwerpunkt Energietechnik und arbeite mit großer Freude daran, die Energiewende in Hamburg voranzubringen.

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