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Arbeitssicherheit trotz Ausbau-Boom in der Windenergie immer gewährleisten

Arbeitssicherheit hat auch in Zeiten eines herausfordernden Windkraft-Ausbaus Vorrang. Unfälle und Gefahrensituationen können vor allem dann vermieden werden

Arbeitssicherheit trotz Ausbau-Boom in der Windenergie immer gewährleisten
LRQA/Getty Images

wenn eine ausgeprägte Sicherheitskultur in Unternehmen vorhanden ist. Diese spielt in allen Bereichen des Infrastrukturausbaus eine große Rolle, ist aber vor dem Hintergrund der hohen Gefährdungssituationen im Offshore-Bereich von besonderer Bedeutung und äußert sich in einem zusätzlichen Trainingsbedarf.  

„Come Home Safe“-Leitsatz für Sicherheitstrainings

Wer schon einmal auf offener See an Offshore-Windenergieanlagen gearbeitet hat, kennt die Herausforderungen. Die Arbeit dort birgt eine Vielzahl von Sicherheitsrisiken. Nicht ohne Grund sind vor dem ersten Einsatz zahlreiche Sicherheitstrainings zu absolvieren und gilt der Leitsatz für Sicherheitstrainings „Come Home Safe“.

Trainingsinhalte sind beispielsweise sicheres Auf- und Absteigen, Arbeiten in der Höhe, Persönliche Schutzausrüstung (PSA), Überleben auf See, Überstieg von Schiff und Windenergieanlage oder Erste Hilfe. Die Trainings vermitteln den Teilnehmenden Wissen, Erfahrung und die Fähigkeit Gefahrensituationen wahrzunehmen. An die Trainings selbst werden höchste Anforderungen gestellt und sorgen Normen und Standards für eine hohe Qualität.

Einsatz aufwendiger Simulationen für Gefahrensituationen

Die meisten Schulungen finden jedoch nicht vor Ort, sondern in entsprechenden Trainingszentren statt. Hier werden sowohl Beschäftigte als auch Neu- und Quereinsteiger von erfahrenen Technikern und Sicherheitsexperten auf Unwägbarkeiten und Gefahrensituationen auf See und in Offshore-Windkraftanlagen vorbereitet. Sie lernen mit Stresssituationen umzugehen und werden in Rollenspielen für Ausnahmesituationen sensibilisiert. Teilweise werden auch aufwendige Simulationen eingesetzt, um Gefahrensituationen nachzustellen.  

Die Sicherheitsanforderungen in der Offshore-Windenergie sind ähnlich hoch, wie in der Schifffahrt oder im Luftverkehr. Deshalb sind Sicherheitstrainings für alle, die auf Offshore-Windenergieanlagen arbeiten, verpflichtend. Unfälle sollen so präventiv verhindert werden. Unbestritten sind diese Maßnahmen zentral, um die Arbeitssicherheit zu gewährleisten. Nur reichen Sicherheitstrainings und Schulungen aus, um eine Sicherheitskultur in den Offshore-Unternehmen zu verankern?

Sicherheitskultur in Offshore-Unternehmen

Seit 2022/2023 erlebt die Offshore-Industrie einen Aufschwung. Derzeit sind rund 8,4 GW Offshore-Windenergieleistung installiert. Diese Leistung erzeugen rund 1560 in der Nord- und Ostsee installierte Windenergieanlagen. Neue Offshore-Windparks befinden sich in Planung oder im Bau und bestehende Anlagen erfordern Wartung und Betrieb. Damit einher geht ein wachsender Bedarf an Fachkräften und Neueinstellungen in den Offshore-Unternehmen. Gleichzeitig stehen viele Projekte unter Zeitdruck.

Doch trotz enger Projektdeadlines müssen auch die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult werden, um den anspruchsvollen Aufgaben auf hoher See gewachsen sein. Zumal sich die Kolleginnen und Kollegen vor Ort auf die neuen Mitarbeiter verlassen wollen.  Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sind fester Bestandteil einer Sicherheitskultur. Doch zu ihr gehört noch viel mehr. Denn neben einem ausgeprägten Gefahren- und Sicherheitsbewusstsein braucht es einen beständigen Austausch, die Förderung von Zusammenhalt, Teamgeist und Vertrauen.

All das kann nicht über Nacht entstehen. Es zieht Prozesse nach sich, an denen alle Beteiligten im Unternehmen gleichermaßen beteiligt sind. Eine ausgeprägte Sicherheitskultur setzt auf Wissen und Erfahrung, bei der „Human Skills“ und kulturelle Faktoren eine zentrale Rolle spielen. Gleichzeitig werden Teambuilding, Zusammenarbeit, Lernprozesse und Kommunikation gefördert.  

„Safety Culture Ladder“ (SCL) trainiert „Human Skills“

Um eine Sicherheitskultur gezielt in Offshore-Unternehmen zu verankern und zu überprüfen, empfiehlt sich der Einsatz der „Safety Culture Ladder“ (SCL). Dabei handelt es sich um ein standardisiertes Verfahren zur Stärkung der Sicherheitskultur in Unternehmen. Die SCL zahlt auf die menschlichen Fähigkeiten und kulturellen Faktoren ein. Durch sie werden Beschäftigte für das Thema Arbeitssicherheit, inklusief zusätzlich zu den psychologischen Sicherheitsgarantien, sensibilisiert und können Angestellte Gefahrensituationen im breitesten Sinne des Wortes besser wahrnehmen.

Die SCL wurde erstmals in den Niederlanden vom Übertragungsnetzbetreiber TenneT und vom Transportunternehmen ProRail N.V. eingeführt. Beide Unternehmen erkannten die Bedeutung des Mitarbeiterverhaltens für eine erfolgreiche Unfallprävention. Der Übertragungsnetzbetreiber TenneT fordert eine SCL-Zertifizierung auch von seinen Partnerunternehmen ein.

Die fünf Stufen der SCL

Die SCL geht von einer fünfstufigen Skala aus. Je höher die erreichte Stufe im Unternehmen ist, um so ausgeprägter ist die Sicherheitskultur:

·         Stufe 1 pathologisch: Das Sicherheitsbewusstsein für Risiken ist kaum vorhanden. Leitmotiv: „Wir tun nichts, solange wir nicht erwischt werden.“

·         Stufe 2 reaktiv: Auf Gefahren wird erst reagiert, wenn sie eintreten. Leitmotiv: „Wir reagieren, wenn sich ein Zwischenfall ereignet. Erst dann ergreifen wir geeignete Maßnahmen.“

·         Stufe 3 kalkulierend: Ein Sicherheitsbewusstsein ist vorhanden. Leitmotiv: „Wir empfinden Sicherheitsregeln als wichtig und verfügen über Systeme zur Risikokontrolle“.

·         Stufe 4 proaktiv: Das Unternehmen verfügt über ein ausgeprägtes Sicherheitsbewusstsein. Leitmotiv: „Wir räumen Sicherheit hohe Priorität ein und arbeiten an einer kontinuierlichen Verbesserung.“

·         Stufe 5 fortschrittlich: Das Sicherheitsbewusstsein im Unternehmen ist stark ausgeprägt. Leitmotiv: „Sicherheit steht im Vordergrund und ist in alle Unternehmensverfahren integriert.“

Zur Überprüfung und Zertifizierung der Sicherheitskultur führen Sicherheitsexperten in den Unternehmen Audits durch und bestätigen den Unternehmen mit einem entsprechenden Nachweis die jeweils erreichte Stufe der SCL.

Fazit

Die Etablierung einer Sicherheitskultur unterstützt den gegenwärtigen Auftrieb der Offshore-Windindustrie. Sie stärkt den Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Offshore-Windparks, aber auch bei allen anderen Projekt- und Unternehmensbeteiligten. So werden alle Mitarbeiter und Servicekräfte in Offshore-Unternehmen für die Risiken und Gefahren auf See sensibilisiert und können sich arbeitssicherheitsfördernd in die Projekte einbringen.  

Autor: Thomas Zeferer, Experte für Organisationsentwicklung und Sicherheit beim Assurance-Dienstleister LRQA

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